Beschreibung
Das Hörorgan hat die Aufgabe Luftdruckanderungen in neuronale Impulse umzuwandeln und so dem Gehirn zugänglich zu machen. Dies wird durch eine komplexe Kette funktional ineinander greifender Elemente erreicht, die eine hohe Sensitivität und einen großen Dynamikbereich bei gleichzeitig großer Bandbreite der wahrgenommenen Frequenzen erzielt. Trotz seiner Feinheit hat das Gehör eine große Robustheit gegenüber Beschädigungen. An der Kette sind mehrere übertragungsmedien beteiligt. Luftschall ruft mechanische Bewegungen im Mittelohr hervor, die an die Flüssigkeit des Innenohrs gekoppelt sind.
Unter Einwirkung statischer Drücke oder großer Schallintensität macht sich nichtlineares Verhalten durch lineare oder nichtlineare Verzerrungen bemerkbar. Diese beeinflussen einerseits den Frequenzgang, andererseits treten Töne auf, die im Eingangssignal nicht enthalten sind. Durch den aktiven Verstärkungsmechanismus im Innenohr tritt zudem nichtlineares Verhalten bereits bei schwacher Reizung auf. Dies führt auch zu den otoakustischen Emissionen, die sich in der medizinischen Praxis analysieren lassen.
Schädigungen des Mittelohrs lassen sich chirurgisch zur Wiederherstellung des übertragungsvermögens behandeln, unter Umständen auch durch den Einsatz von passiven oder aktiven Prothesen. Ein Verlust der Verstärkerfunktion der äußeren Haarzellen hingegen ist nicht reversibel und führt zu einem erheblichen Abfall der Hörschwelle und einer Abnahme der Frequenzselektivität.
Ziel unserer Forschung ist die mathematische Beschreibung des frequenzabhängigen nichtlinearen übertragungsverhaltens des Mittelohrs mit seinen angrenzenden Strukturen zwischen der Anregung durch Schalldruck oder aktiven Mittelohrimplantaten. Dabei wird die nichtlineare Dynamik der Schallleitungskette durch eine dreidimensionale mechanische Modellierung berücksichtigt. Die Parameter der Modelle werden aus Messungen und klinischen Beobachtungen sowie durch theoretische Betrachtungen eingegrenzt und in ihrer individuellen Streubreite abgeschätzt. Die Beschreibung des Bewegungsverhaltens von Normalohr und rekonstruiertem Ohr erfolgt durch dreidimensionale Modelle auf Basis der Grundgesetze der Dynamik. Zur Modellbildung werden Mehrkörpersysteme, Elastische Mehrkörpersysteme und Finite Elemente Systeme verwendet. Diese können die räumliche Situation im Ohr und die räumliche Bewegungen der Ossikel und Prothesen realistisch nachbilden.
Die Simulation des Bewegungs- und Übertragungsverhaltens soll eine optimierte Abstimmung von Hörhilfen, eine verbesserte Interpretation in der Diagnostik und eine Weiterentwicklung von Diagnoseverfahren ermöglichen. Bei Implantaten sind insbesondere die nichtlinearen Eigenschaften der Koppelstellen, die reduzierte Übertragung durch Verspannung der Gehörknöchelchen sowie die zeitliche Relaxation der Bänder von Bedeutung. Das Schädigungspotenzial von extremen Lärmeinwirkungen und Kräften bei der Applikation von Implantaten soll so nachgebildet werden. Wegen der starken Vernetzung und Verkopplung der physikalischen Vorgänge beim Hören erfordert diese Aufgabe oft ein sehr umfassendes Betrachten zur Datengewinnung und Verifikation der postulierten Modelle und der gefundenen Parameter.
Informationen & Themengebiete
- Modellierung des Außen- und Mittelohrs
- Modellbasierte Hördiagnose
- Übertragungseigenschaften und Funktion des incudo-malleolaren Gelenks
- Modellierung des Innenohrs
- Passive und aktive Implantate
- Messstände und Messmethodik
Anprechpartner
Peter Eberhard
Prof. Dr.-Ing. Prof. E.h.- Profil-Seite
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- Pfaffenwaldring 9, 70569 D-Stuttgart