Autonomes Fahren und Insassenverletzungsrisiko: Experi- ment und Simulation

Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft/Abteilung für Bewegungs- und Trainingswissenschaft und dem Institut für Technische und Numerische Mechanik.

Beschreibung des wissenschaftlichen Projekts

Durch das autonome Fahren erschließen sich neue Tätigkeitsfelder der Fahrzeuginsassen (z. B. Teilnahme an Videokonferenzen). Dies ist verbunden mit einer veränderten Insassenposition (gedrehte Sitzposition in Bezug auf die Fahrtrichtung; z. B. um 90 oder 180 Grad gedreht, geänderte Kopfposition bei Gesprächen) im Vergleich zum herkömmlichen Fahren. Die variablen Positionen führen zu veränderten Belastungen des Bewegungsapparates bei Unfällen und bei Brems- und Lenkmanövern. In modernen Fahrzeugen können auch Multimediasysteme (Monitore), Änderungen der Insassenpositionierung (Sitzkreis) und Telefonkonferenzen zu einer erhöhten Ablenkung der In-
sassen führen. Diese Veränderungen verursachen in Aufprallszenarien "andersartige" und "unerwartete" Belastungen und können das Verletzungsrisiko beeinflussen. Eine gedrehte Kopfposition zum Zeitpunkt eines Auffahrunfalls ist mit einem höheren Risiko für ein akutes und chronisches Schleudertrauma verbunden. Im Vergleich zum geraden Blick erhöht ein gedrehter Kopf das Verletzungsrisiko um 50 % (L. Jakobsson et al.,2008). Zum einen erfordert eine veränderte Kopfposition ein spezifischeres Aktivierungsmuster der jeweiligen Muskulatur. Dadurch verändern sich die Kraftgenerierenden Eigenschaften des neuromuskulären Sytems im Falle eines Aufpralls. Auf der anderen Seite sind bei lateralen Belastungen andere Muskeln an der Dämpfung sowie Stabilisierung des Rumpfes beteiligt. Der Einfluss dieser Veränderungen auf die Muskelaktivierung, die Kinematik des Körpers sowie die veränderte Belastung (innere mechanische Belastung) im Vergleich zu normalen Insassenpositionen sind derzeit unbekannt.

Validierte digitale Zwillinge sind eines der vielversprechendsten Werkzeuge, um weitere Erkenntnisse über Schleudertrauma-assoziierte Verletzungen zu gewinnen, die die europäische Gesellschaft bis zu geschätzten 10 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Ziel dieses Projekts ist es daher, die bestehenden menschlichen Modelle durch Kopf- und Körperrotationen zu verbessern. Daher werden muskelspezifische Aktivierungsmuster, realistische Muskeleigenschaften und Bewegungsbereiche benötigt, um vom menschlichen Modell/digitalem Zwilling (z. B. durch den Einsatz von maschinellem Lernen) erlernt zu werden. Plötzliche Bewegungen (wie bei Unfällen) sind mit exzentrischen (verlängernden Muskelkontraktionen) und konzentrischen Muskelkontraktionen verbunden. Insbesondere exzentrische Kontraktionen sind in früheren Modellen noch unzureichend umgesetzt. Darüber hinaus werden Experimente in einem Driver-in-the-Loop-Setup (Fahrsimulator) (Kempter et al.,2018) durchgeführt, um Modellparameter zu bestimmen und das menschliche Modell zu validieren.

Mit einem solchen Setup (Abb. 1) ist die Untersuchung unterschiedlicher Kopf- und Körperpositionen bei Stößen sowie der Einfluss von Geschlecht und Alter auf die Ausgangshaltung und damit das Verletzungsrisiko möglich. Zu den primären Ergebnissen des Projekts gehört die Generierung und Analyse kinematischer und elektromyographischer Daten bei Stößen (z. B. simulierten Unfällen). Basierend auf diesen Daten kann der Einfluss der Kopfrotation auf das Verletzungsrisiko bei Unfällen oder Unterschiede in der Gewebebelastung zwischen Mann und Frau oder abhängig vom Alter in silico durch den digitalen menschlichen Zwilling beurteilt werden.

Netzwerk von Methoden und Kompetenzen zur Verbesserung der Mensch-Maschine- Interaktion in Driver-in-the-Loop-Simulationen zur Bewertung des Verletzungsrisikos beim autono- men Fahren.
Netzwerk von Methoden und Kompetenzen zur Verbesserung der Mensch-Maschine- Interaktion in Driver-in-the-Loop-Simulationen zur Bewertung des Verletzungsrisikos beim autono- men Fahren.

Die enge Verzahnung von Experimenten und Modellen ermöglicht die Erweiterung und Validierung des Menschmodells. Mit den validierten Finite-Elemente-Modellen lassen sich potentiell neue Einblicke in die mikroskopischen Verletzungsmechanismen von Bändern, Muskeln, Wirbelsäule und Rückenmark gewinnen. Die Ergebnisse der FE-Modelle können verwendet werden, um Verletzungsrisiko, Körperposition oder Muskelaktivierung in einem digitalen menschlichen Zwilling zu visualisieren.

Gemeinsame Publikationen:

  • F. Kempter, J. Fehr, N. Stutzig, and T. Siebert. On the validation of human body models with a driver -in-the-loop simulator. In The 5th Joint Int. Conference on Multibody System Dynamics (IMSD 2018) , Lisboa, Portugal, 2018.
  • F. Kempter, L. Lantella, N. Stutzig, J. Fehr, and T. Siebert. Potential to volunteer testing using a driving simulator with motion capture and emg data acquisition. In Proceedings of the IRCOBI Conference, Munich, Germany, 2021.

Kontakte

Dieses Bild zeigt Tobias Siebert

Tobias Siebert

Prof. Dr.

Stellvertretender Institutsleiter

Dieses Bild zeigt Norman Stutzig

Norman Stutzig

PD Dr. habil.

Studiengangsmanager B.Sc. Bewegungswissenschaft

Dieses Bild zeigt Jörg Fehr

Jörg Fehr

apl. Prof. Dr.-Ing.
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